Auf den überlasteten Trampelpfaden des Himmels
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit über dem nördlichen Sambia. Eine Gewitterfront liegt drohend über dem Kupfergürtel, leichte Turbulenzen schütteln unseren kleinen Jet auf dem Flug von Johannesburg in die sambische Minenstadt Kitwe. Der kleine gelbe Klecks vorn am Firmament ist dem Piloten Ian Robertson bereits aufgefallen. "Das ist kein Stern, das ist ein anderer Flieger", sagt er. Der Jet ist auf Gegenkurs und hält weniger Höhenabstand als vorgeschrieben. Sicherheitshalber knipst Robertson mehrmals die Landescheinwerfer an und aus - eine Art Lichthupe. Auch die entgegenkommende Maschine blendet jetzt auf. "Er hat uns gesehen", murmelt der Pilot; die Situation ist unter Kontrolle.
Nicht immer verlaufen Begegnungen am Himmel über Afrika so glimpflich. Fast überall zwischen Tunesien und Botswana fliegen die Piloten auf Überseeflügen stundenlang auf Sicht - und wegen der fehlenden Radarüberwachung am Boden quasi blind. "Fliegen über Afrika schärft die Sinne", meint Robertson. Erst in Südafrika hat die Überwachung des Luftraums wieder europäische Standards. Dass es am Himmel über Afrika nicht öfter kracht, sei reines Glück, warnt auch die internationale Pilotenvereinigung. Einziger Ausweg im Moment: die Piloten kommunizieren untereinander und teilen sich ihre jeweilige Position aber auch die Wetterlage mit.
Obwohl die Afrikaner schon lange um das Problem wissen, wird seit Jahren wenig getan. Das Geld, das die Fluggesellschaften für Überflugsrechte zahlen, fließt selten in die Modernisierung der Ausrüstung am Boden. Erst letzte Woche warnte Südafrikas Präsident Thabo Mbeki auf einer Luftfahrtskonferenz der Afrikanischen Union in Sun City, die völlig unakzeptable Situation endlich in Angriff zu nehmen. Obwohl nur 3% aller Flugzeuge in Afrika starten, ereigneten sich hier letztes Jahr 28% aller tödlichen Luftfahrtsunfälle - Tendenz steigend. Dabei kann man davon ausgehen, dass viele Zwischenfälle erst gar nicht gemeldet werden, weil manche Fluggesellschaften durch die Bekanntgabe von Beinahe-Zusammenstößen einen Imageverlust befürchten.
Die lückenhafte Flugüberwachung ist beileibe nicht das einzige Risiko auf dem Kontinent. Besonders abenteuerlich geht es zum Beispiel bei Landungen in Zentral- und Westafrika zu: Sicherheitsvorkehrungen sind am Boden oft gar nicht erst vorhanden. Viele Flughäfen haben keine Zäune, so dass jeder auf ihr Gelände und sogar die Runway gelangen kann. Im Kongo aber auch in Liberia donnern die russischen Antonovs oder Iljuschins oft erst im Tiefflug über die Landbahn, um die mit Vorliebe darauf bolzenden Fußballspieler zu warnen. Während das Flugzeug eine letzte Schleife dreht, bauen die Kicker rasch die Tore ab. Nach der Landung geht es in die zweite Halbzeit.
Angesichts der zum Teil haarsträubenden Zustände kursieren viele Storys. Da ist zum Beispiel jene von dem schwer beladenen Frachtflugzeug der South African Airways, dessen Pilot in einem ostafrikanischen Flughafen vom Tower die falsche Windrichtung übermittelt bekam, so dass die Maschine mit Rückenwind abhob und fast abgeschmiert wäre. Obwohl der Pilot den Fehler sofort meldete, wollte eine Maschine der British Airways, die auf die Startfreigabe wartete, offensichtlich in die gleiche Richtung starten - und ebenfalls mit Rückenwind. Erst im letzten Moment erreichte der SAA-Pilot seine britischen Kollegen und drängte sie zu einem Wechsel der Startbahn. "In einigen Länder ist man in der Tat nie sicher, ob die gemeldete Windrichtung gerade gemessen wurde oder mehrere Stunden alt ist" erzählt ein südafrikanischer Flugveteran.
Wer noch nie in Afrika geflogen ist und einen guten Platz wünscht, ist übrigens gut beraten, zum Fliegen Turnschuhe zu tragen. Der Grund: zwar geben die meisten afrikanischen Gesellschaften zumindest Bordkarten aus, doch haben diese oft keinen nummerierten Sitzplatz. Es gilt die Devise: Wer zuerst kommt, sitzt zuerst. Den Sieger eines solchen Massensprints von der Abflughalle zum Flugzeug erkennt man oft am begehrten Platz am Notausgang, der viel Beinfreiheit und im Fall des Falles auch einen schnellen Ausstieg garantiert.
Bei Flügen mit Zwischenstopps, wie sie in Afrika die Regel sind, gibt es allerdings keine Gewähr, den hart erkämpften Platz auch zu behalten. In der Regel gilt: bei jedem Zwischenstopp müssen alle Passagiere von Bord, und die Plätze verfallen. Keiner weiß warum.Vielleicht sollen Zusteigende die gleiche Startchance erhalten. Eine Ausnahme bildete indes der jüngste Flug in Mosambik. Kurz nach dem Start kündigte der Pilot eine unplanmäßige Zwischenlandung in Beira an - aus "persönlichen Gründen" wie er den verdutzten Passagiere mittteilte. Immerhin hatte er eine ungewöhnliche Konzession parat: wir durften an Bord bleiben. Mir war es recht. Ich saß am Notausgang.
von Wolfgang Drechsler